Kriegsbeginn und Evakuierung

(Heinz Bernard & Josef Strauß)

Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Pläne zur Evakuierung (Räumung) des gesamten Gebietes erörtert. Diese blieben für den größten Teil der Bevölkerung geheim. Ungeachtet der Kriegsgefahr verlief der Alltag in Hülzweiler wie in den meisten saarländischen Dörfern bis in die zweite Hälfte des Augusts 1939 in gewohnten Bahnen. Auf unserer Freilichtbühne, die im Jahre 1939 zur „Reichsfreilichtbühne“ ernannt wurde, führte man das Schauspiel „Bauernsturm 1525“ auf. Über 20 000 Menschen besuchten an den 4 Wochenenden im Juli und bei der Sondervorstellung am 11. August unseren Ort. Auch die „Kirf“ am 13. August wurde gefeiert als wäre es die letzte. Lediglich die vielen fremden Soldaten erinnerten stets daran, dass etwas Schlimmes in der Luft lag. Einheimische junge Männer sah man kaum noch, die meisten waren eingezogen worden und viele hatten schon ihren „Stellungsbefehl“ in der Tasche. Das bekannt werden des Hitler – Stalin – Packtes am 23. August 1939, die Mobilmachung drei Tage später und die Bewirtschaftung von Lebensmitteln, Bekleidung und aller wichtigen Verbrauchsgüter  ab dem 27. August 1939 verstärkte die Unruhe in der Bevölkerung. Es entstand eine Hektik, die man in Worte nicht fassen kann, die dann aber auch ebenso schnell in Lethargie umschlug. Die Frauen standen in kleinen Gruppen zusammen, disputierten, lamentierten und weinten, wenn sie daran dachten, dass sie alles, was sie unter großen Mühen aufgebaut hatten, verlassen sollten, nur um das nackte Leben zu retten. Unser Dorf lag in der so genannten „roten Zone“, auch Freimachungszone genannt, die sich parallel zur französischen Grenze landeinwärts in einer Tiefe von 10 km hinzog. Die dahinter liegende 20 km tiefe „grüne Zone“ blieb vorerst von der Räumung verschont.

 

Menschenansammlung bei der Evakuierung vor dem Hause
Rupp Heinrich „Häwwele“ in der Hauptstraße

Obwohl Hitler am 25. August 1939 den „Sicherheitsaufmarsch West“ befahl, hofften die Menschen immer noch auf einen friedlichen Ausgang. Man war der Ansicht, der Westwall wirke auf die Franzosen abschreckend. Hülzweiler war mitten im Aufmarschgebiet und im ganzen Ort wimmelte es in jenen Tagen von Soldaten, die in den Schulen Unterkunft fanden, während die Pferde ihrer Batteriegespanne in den Stallungen der Bauern untergebracht waren. Als dann am Freitag, dem 1. September die Kriegserklärung bekannt gemacht wurde, herrschte allgemeine Ratlosigkeit und Niedergeschlagenheit. Der letzte Funke Hoffnung war verschwunden. Jeder Haushaltungsvorstand erhielt den Abmarschbefehl, der die Richtlinien für die Evakuierung enthielt. Da stand es schwarz auf weiß, dass es zum Schutze der Bevölkerung und zur Sicherstellung der Beweglichkeit der Truppen notwendig wäre, die Bevölkerung ins Innere Deutschlands zu bringen.

Keiner wusste wohin und keiner wusste, wann es losgehen sollte. Alle Männer, die nicht bei den Soldaten waren, weil sie als Bergmann oder Hüttenarbeiter in kriegswichtigen Betrieben arbeiteten,  „u. k.“ (unabkömmlich) gestellt waren, wurden von ihren Familien getrennt. Unbeschreibliche Szenen spielten sich auf dem Vorplatz der Kirche ab. Weinen, Jammern, Klagen, das Schreien der Kinder erfüllte die Luft. Sollte man sich wieder sehen, sollte man wieder in die Heimat zurückkehren?

Nach dem Waffenstillstand mit Frankreich am 22. Juni 1940 begann dann die schrittweise Wiederbesiedlung der „Roten Zone“, unserer Heimat. „Nix wie hemm!“ war die Parole. Mit jedem Schritt, mit dem wir uns unseren Häusern näherten, wuchs die Anspannung, aber die Zufriedenheit, wieder zu Hause zu sein, überwog alles andere. „Gott sei Dank“ konnten wir sagen, wenn wir sahen, dass das Haus noch stand. Aber wie sah es drinnen aus? Die Haustür und die Zimmertüren standen sperrangelweit offen, die Fensterscheiben waren zerbrochen,  am Dach hatte der Krieg seine Spuren hinterlassen, so dass es hineinregnen konnte, was dann auch entsprechende Spuren an den Zimmerdecken hinterlassen hatte. Die Tapeten hingen in Fetzen von den Wänden, die Möbel waren teilweise zerstört, die Betten waren ohne Matratzen, die Öfen ohne Rohre. Die Schäden am Haus waren oft nicht den direkten Kriegseinwirkungen zuzuschreiben, Witterungseinflüsse, mutwillige Zerstörungen und Plünderungen waren die Hauptursachen. In den Gärten sah es besonders schlimm aus, die Natur hatte sich ausgebreitet. Beete waren verwildert, die Gartenpfade mit Unkraut überwachsen, die Bäume standen im prächtigen Wildwuchs. Er musste so schnell wie möglich wieder hergerichtet werden, denn er war von lebenswichtiger Bedeutung für die Menschen. Es dauerte wochenlang, monatelang bis alles wieder einigermaßen in Ordnung war. 

Als dann im Sommer 1941 die Kartoffeln, Gemüse und Obst zur Mangelware wurden, waren wir froh, vieles im Garten selbst züchten zu können. Trotzdem wurde das Schlangestehen vor den Obst- und Gemüseläden – das nach dem Krieg noch viel schlimmer war - zu einer alltäglichen Beschäftigung. Um ja etwas von den stark rationalisierten Lebensmitteln zu ergattern, stellte sich einer aus der Familie schon mitten in der Nacht vor das Geschäft, der dann am frühen Morgen von einem anderen Familienmitglied abgelöst wurde. Im Frühjahr 1942 hatte sich die Ernährungskrise stark verschärft. Die wöchentliche Lebensmittelzuteilung verringerte sich ab dem 06. April 1942 wie folgt: 

Fleisch von 400 g auf 300 g

Butter   von 150 g auf 125 g

Margarine von 96g auf 65 g

Brot von 2250 g auf 2000 g.

 

Wenn man als „Selbstversorger“ ein mühsam gemästetes Schwein schlachtete – nur mit Genehmigung – wurde das auf die Lebensmittelzuteilung angerechnet.  Das führte notgedrungen zu einer Welle von „Schwarzschlachtungen“, die schwer bestraft wurden. Das hatte zur Folge, dass die Kleintierhaltung immer größere Ausmaße annahm, Ziegen und Kaninchen fehlten in keinem Haus.                                                                                              

Der Anteil an minderwertigen Zutaten und Ersatzstoffen in Lebensmitteln nahm stetig zu. So kannte man „Kaffee – Ersatz, Eipulver, Reisersatz, Kriegsbier, Fliegerbier“ u.s.w.   

Jetzt war die Selbstversorgung gefragt. Wohl denen, die einen eigenen Garten hatten. Schwarzmarkt und Tauschhandel, „Hamstern“ und „Organisieren“ begannen sich auszubilden und wurden zu einer dauerhaften Beschäftigung. Man durfte sich allerdings nicht erwischen lassen. Dies galt als Verstoß gegen die Kriegswirtschaftsbestimmungen und wurde mit drastischen Strafen belegt.  

Dazu kam, dass man von der „Heimatfront“ immer größeren Einsatz verlangte. Die „HJ, das Jungvolk, der BDM und die Jungmädchenschar“, alle versuchten sich im Überbieten von Sammlungen von Altpapier, Altkleidern, Metallabfällen, Buntmetallen, Knochen usw. Kaninchenfelle zur Herstellung von Winterkleidung für die Soldaten an der Ostfront, Pelzmäntel, Wintermäntel, Stiefeln, Verbandmaterial, selbst gestrickte Strümpfe und zu guter Letzt noch Lebensmittel, alles wurde gesammelt. 

Schulklassen sammelten den gelb-schwarz gestreiften „Volksfeind“, den Kartoffelkäfer mit seinen Larven und Eiern, Heilkräuter für Tees, Buchecker, Eicheln und Kastanien. Alles wurde verwertet.