Der Grenzsteinverrücker

Claus Schmauch

In einem Dorf hauste einst ein Bauer der Dein und Mein schlecht unterscheiden konnte. Beim Mähen übersah er leicht den Scheidgraben. Die Hühner der Nachbarn lockte er in seine Scheune und bereicherte sich an den Eiern. Das Vieh trieb er mit Vorliebe auf fremde Kleeäcker, und wenn er etwas Verlorenes fand, barg er es in seinem Schuppen, ohne nach dem Besitzer zu fragen. Das nimmt kein gutes Ende, sagten die Leute, als sie bemerkten, dass er auch ihre Grenzsteine heimlich versetzte. Doch nie ließ er sich ertappen, so dass er auch nicht vor ein Gericht kommen sollte.

Da aber kein unrecht Gut gedeihen konnte, und alle Schuld einmal gesühnt werden muss, wurde der Bauer nach seinem Tod ein "Umgänger" Bei jedem Mondwechsel stieg er aus dem Grab, lud sich einen schweren Grenzstein auf die Schulter und machte sich auf. Winselnd und keuchend umwandelte er die Flur und schreckte die Fuhrleute und Fußgänger. Laut rief er:"Wo soll ich ihn hintun, der ist so schwer".

"Armer Tor", antwortete ihm einst ein Mädchen, das spät vom Spinnen heimging, "wenn Dir Gott nicht hilft, so wirst Du nimmer froh!"

Da begann der Bauer zu toben, und ein Steinhagel prasselte auf das Mädchen, das blutend nach Hause ankam.

Seitdem hütet sich jeder, dem Umgänger zu antworten. Noch heute geistert er im Feld umher und ruft: "Wo soll ich ihn hintun?" Aber wenn er die Antwort erhält: "Da, wo Du ihn geholt hast", wird er erlöst sein von seinem Fluch.